lost in translation. Übersetzung als Vermittlungsmodell

»Lost in Translation« ist eine der meist weithin bekanntesten und gebrauchten Rede-wendungen in der englischen Sprache. Aber was ist eigentlich verloren in der Übersetzung? Der Übersetzer oder das »Übersetzte«? Was auch immer diese drei simplen Worte andeuten, sie sind der Schlüssel zu meinem Vermittlungsmodell – Übersetzung. Diese Einleitung erscheint gestelzt formuliert, oder? (Abb. 1) Das liegt daran, dass es sich hierbei um eine wortwörtliche Übersetzung eines Textes handelt, der zunächst in Englisch verfasst wurde:

»Lost in Translation« is one of the most widely known and used idiomatic phrases in the English language. But what is actually lost in translation? The translator or the »translated«?
Whatever these three simple words imply, they are key to my model of mediation- translation.

Diese beispielhafte Übersetzung soll zeigen, dass dieser Vorgang immer mit Verlust verbunden ist. Solch ein Verlust ist nicht zwingend negativ, da bei einer Sprachübersetzung der Inhalt von einem anderen Sprachumfeld verstanden werden
kann. Aber nicht nur Verlust ist ein ständiger Bestandteil eines Übersetzungsprozesses, sondern auch das Hinzufügen von Sprachmerkmalen der Zielsprache. Somit bildet sich die Praxis des Übersetzens als eine semantische und kosmetische Übertragung eines Inhaltes ab. Tatsache ist, dass es eine vollkommene Übersetzung nicht gibt.1

Übersetzung beschränkt sich nicht auf Sprache. Auch Größen, Medien oder Orte können übersetzt werden. Übersetzung kann zur künstlerischen Strategie oder zum
Gegenstand des Kunstwerkes werden.

Aufschlussreich ist die Etymologie von »Übersetzung« und dem englischen »translation«: Der lateinische Wortstamm »translat« bedeutet so viel wie »herübergetragen« / » to be carried across«;2
Das deutsche Wort »Übersetzung« meint sowohl den Prozess als auch das Ergebnis einer Übertragungsleistung. Diese Übertragung eines Gegenstandes oder eines Inhaltes, beispielsweise in Sprachübersetzungen der Übertrag von der Ausgangs- in die
Zielsprache, aber auch das Übersetzen eines Flusses mit einer Fähre, ist eine Versetzung von A ? B. Bei einer Übersetzung handelt es sich also um eine Bewegung, bei der ein Gegenstand oder ein Inhalt in eine neue Form, Anordnung oder Sprache übertragen wird.

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Abb. 1: Schreibübung im vorbereitenden Workshop in Paderborn.

Ceal Floyer ? Shelly Nadashy

Ein Beispiel für Übersetzung als Gegenstand einer künstlerischen Auseinandersetzung ist Ceal Floyers Arbeit »Romance« (2016) auf der Manifesta 11 (Abb. 2). Das Werk beleuchtet das Berufsfeld des Übersetzens, indem die Künstlerin zwei Simultan-Dolmetscher einen englischen Ehevertrag ins Italienische und ins Französische übersetzen ließ. Deren Arbeitsort, zwei Übersetzungskabinen, sowie der Übersetzungsprozess werden im Züricher Helmhaus dokumentiert und präsentiert. Eine Häufung von Anmerkungen, Notizen, Hervorhebungen, Querverweisen oder Pfeilen sind nicht nur eine praktische Begleiterscheinung des Übersetzens, sondern zeigen auch eine gewisse Ästhetik auf (Abb. 3). Die ausgestellten Übersetzungsskizzen bilden nicht das
Ergebnis, sondern den Prozess ab, bei dem der formale Rechtsschrieb in ein ästhetisches Objekt übersetzt wird. Damit zeigt Ceal Floyers Arbeit, dass es sich bei Übersetzungsprozessen, ganz nach dem Prinzip von A ? B, um Bewegungen handelt.

Bewegungen in Form von Pfeilen, Markierungen oder Vermerken finden sich auch auf einer weiteren Übersetzungsskizze, deren Ästhetik zufälligerweise wie bei Ceal Floyer einer Übersetzungsleistung entspringt (Abb. 4). Gegenstand dieser Übersetzungsskizze, die während meiner Vermittlung genutzt wurde, ist das Gedicht »Amores« von Ovid. Im Zentrum der römischen Liebeselegie (Klagegedicht) steht die Liebesbeziehung des Lyrischen Ichs zu einer Frau namens Corinna. Die »Amores« sind auch Gegenstand von »Chatter Box« und »Nesting Box« (beide 2016) von Shelly Nadashi. Ihre meist Interdisziplinären, installativen Arbeiten sind oft von einem Hang zur Satire gekennzeichnet.3

Übersetzung als künstlerische Strategie

Shelly Nadashis aktuelle Arbeiten sind ein Beispiel dafür, wie Übersetzung als künstlerische Strategie eingesetzt werden kann. Im Fall der »Chatter Box« (Abb. 5) wurde Ovids »Amores« in eine audiovisuelle Installation übersetzt. Diese besteht aus drei Ebenen: Die hinterste wird von mehreren vertikal aufgerichteten Ästen gebildet, an denen zwölf Pappmaschee-Vögel hängen. Davor befinden sich zwei weitere Ebenen, bestehend aus Podesten mit Sockeln, auf denen Pappmaschee-Eier ruhen. Im Vordergrund zentriert findet sich ein Asthaufen mit Eiern und daneben eine puppenhafte Figur am Boden. Die Installation ist mit einer achtminütigen Audiopräsentation unterlegt, in welcher der Papagei aus den »Amores« direkt zu den Besucherinnen und Besuchern spricht.

 

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Abb. 2: Erste Seite der ausgestellten Übersetzungsskizze für »Romance« (20169 von Ceal Floyer.

 

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Abb. 3: Bewegung von A ? B im Kopf?.

An dieser Stelle ist die Übersetzungsleistung am deutlichsten sichtbar: Tatsächlich im Original als tot beschrieben, lässt Shelly Nadashi den Papageien in der »Chatter Box« wieder auferstehen.
Mit eigener Stimme wechselt der Papagei die Rollen: im Gedicht als Corinnas Haustier beschrieben, Objekt ihrer Zuneigung, wird er im Züricher Helmhaus zum sprechenden Subjekt.

Die Tatsache, dass der Papagei im Originaltext verstorben ist, geht in dieser Übersetzung verloren. Shelly Nadashi hat das Gedicht nicht 1 : 1 übersetzt, sondern aus einem toten einen lebendigen Papagei gemacht, folglich ihrer Übersetzung etwas hinzugefügt. Im Vergleich zeigen sich weitere Elemente in der »Chatter Box«, die nicht den »Amores«, sondern der Übersetzungsleistung entspringen. Es ist festzuhalten, dass Shelly Nadashi keine Wort-für-Wort-Übersetzung angefertigt hat, sondern eine narrativübertragende nach dem Muster A ? B. In ihrer künstlerischen Auseinandersetzung bildet sich ein bewusstes Spiel mit Verlust und Addition im Prozess der Übersetzung ab. Ob Besucherinnen und Besucher die »Chatter Box« nun als infantil oder übertrieben karikativ beschreiben (wie in unserer gemeinsamen Diskussion geschehen) ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass dies das Ergebnis von Shelly Nadashis Übersetzung der »Amores« ist, selbst wenn diese dabei etwas »lost in translation« scheint.

Mittel zum Zweck?

Wahrscheinlich weniger »lost in translation« ist die Kollaborationspartnerin Dr. Margaretha Debrunner, Gymnasiallehrerin am Literargymnasium Rämibühl in Zürich für die Fächer Latein und Griechisch. Sie arbeitet seit 1991 als Lehrerin an Schulen
und Universitäten in England und der Schweiz.4 Auch in der Kollaboration fiel sie nicht aus ihrer lehrenden Rolle heraus: Bei einem ersten Treffen zwischen den beiden Frauen erhielt die Künstlerin die Hausaufgabe, sich näher mit dem römischen Dichter Ovid und dessen Werk »Metamorphosen« zu beschäftigen. Angesichts der lateinischen Sprache und des Umfangs dieses Werkes muss sich Shelly Nadashi stark überfordert gefühlt ha-
ben. Doch die Lehrerin stand ihrer Schülerin mit Rat und Tat zur Seite. Vielleicht aus Trotz, Protest oder Selbstbestimmtheit heraus hat sich die Künstlerin schließlich mit einem anderen Werk von Ovid beschäftigt.

Beide Frauen haben sich auf ihre Art und Weise mit diesem auseinandergesetzt. Margaretha Debrunner entwarf eine Unterrichtsreihe zu Ovid und hielt einen Vortrag über die Notwendigkeit von Latein an Schulen: „Ein wenig verfolgte ich damit
eine eigene Agenda. Ich will Aufmerksamkeit für meine Fächer generieren, die politisch immer wieder unter Druck stehen“5.
In Anbetracht dieser sich distanzierenden Kollaboration stellt sich die Frage, ob Margaretha Debrunner nur eine Übersetzungshilfe war. Das Interesse der Künstlerin an Sprache, Kultur und Literatur mag lediglich nach einer Dienstleistung verlangt
haben, der ihr Zugang zu Übersetzungsstrategien verschafft. In diesem Falle war dieser Zugang eine sprachliche Übersetzung Ovids vom Lateinischen ins Englische. Keineswegs kann die Kollaboration zwischen der Künstlerin und der Gymnasiallehrerin wie zuvor behauptet als Schüler-Lehrer-Verhältnis gesehen werden. Shelly Nadashi entschied sich bewusst gegen Margaretha Debrunners Vorschläge und fand im Prozess der Übersetzung,
in der Bewegung von A ? B, zu einer eigenständigen Position, die sich weder in Ovids »Amores« noch der Übersetzungshilfe von Margaretha Debrunner erschöpft.

Übersetzung als Vermittlungsmodell

Dies stellt auch den besonderen Wert einer Übersetzung als Vermittlungsmodell dar: Ob als Text, Zeichnung, Reenactment etc. findet sich im »lost in translation« das Potential der Erkundung bestehender und der Erschaffung neuer Systeme, die versuchender Komplexität des Gegenstandes gerecht zu werden. Manches mag verloren gehen, aber es handelt sich nicht um eine Reduktion auf einfache Sachverhalte, sondern den Ver-
such, durch Relation zu einem Verständnis zu kommen oder den Zustand des Verlorengehens schätzen zu lernen.

Simone Kirchner


Q
1 Vgl. Süßkind/von der Vring 1963, S. 9.
2 http://en.oxforddictionaries.com/definition/translation.
3 http://www.gsamfa.com/2009/shelly_nadashi.php.
4 Vgl. Debrunner 2016, S. 141.
5 Ebd., S. 140.
L
Debruner, Margaretha: Nesting Box. In: Christian Jankowski. (Hg.): What
people do for money. Zürich 2016. S. 140-141.
Süßkind, W.E./Georg van der Vring: Die Kunst der Übersetzung. In:
Bayerische Akademie der Schönen Künste (Hg.): Die Kunst der Übersetzung.
München 1963. S. 9-39.
A
Beitragsbild: Badende in der Limmat. Foto: Jennifer Rojahn.
Abb. 1, 3: Fotos: Sabiene Autsch.
Abb. 2: Foto: Simone Kirchner.