New York. Die Stadt der Städte, die »Mega-City« schlechthin. Wen kann, wen werde ich in New York treffen, wenn ich erst einmal dort bin? Was haben diese Menschen zu sagen, welche Geschichte werden sie erzählen? Wie trete ich in Kontakt mit ihnen? Was kann ich ihnen erzählen? Kann man voneinander lernen? Was nehme ich mit, sobald ich wieder in der Heimat bin? Vielleicht Freunde und Kontakte? Wie verändert sich mein Kontaktnetzwerk, wenn von es Europa bis nach Amerika reicht? Und auch: Wie kann man sich über das Sprechen einem Kunstwerk annähern? Was bringt es, Fragen an das oder den Gegenüber zu stellen?
Das alles sind Fragen, die ich mir vor der Reise in die Vereinigten Staaten gestellt habe. Denn vor allem für die Rezeption von Kunst kann sich ein Austausch mit den unterschiedlichen Menschen, die man vor Ort trifft, als fruchtbar erweisen und darüber hinaus auch die eigene künstlerische Praxis anregen. Im Folgenden sollen individuelle Erlebnisse, vor allem aus dem New Yorker Ausstellungsraum, reflektiert werden.
Von wem kann ich erzählen? Vielleicht von FunFun, einer Influencerin chinesischer Abstammung, die ich auf einer Party in Manhattan traf? Während sie auf ihrem Kanal Ciao Downtownsie über Kulinarik in all ihren Formen berichtet, neue Rezepte erprobt und teilt, setzt sie sich gleichzeitig für einen bewussten, gesunden und nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln ein – provokant mit ihrem Körper, ihren Reizen, ihrer Sexualität. Erzähle ich von Jeremy DePrez? Einem Künstler, der vor allem als Maler tätig ist, der u.a. in New York, Houston und auch Berlin ausgestellt hat. Jeremy, mit dem ich eine Tour durch SoHo unternommen habe, um das besondere Paar Schuhe zu finden, da wir eine Passion für Sneaker teilen. Oder berichte ich von seinem Mitbewohner Miguel (der mich zur Vernissage von Jeremy in China-Town eingeladen hat), der im Whitney Museum of American Art arbeitet und selbst Maler ist? Dies sind nur einige Menschen, mit denen ich während meines Aufenthalts in New York in Kontakt getreten bin. Haben jene Menschen vielleicht etwas von diesen Begegnungen mitgenommen oder gelernt? All dies sind Fragen, die ich mir sowohl vor, aber auch nach der Reise nach New York gestellt habe. Mit dem Schreiben dieses Artikels möchte ich einige dieser Fragen reflektieren, durchaus mit dem Wissen, für manche Fragen nur begrenzt Antworten zu finden.
Sprechen über Kunst – Kommunizieren als Annäherung an Kunst
Vor allem im musealen Raum trifft man auf Menschen, mit denen sich Gespräche anbieten. Man ist in einem bestimmten Museum, begeht eine bestimmte Ausstellung – der gemeinsame Nenner ist vorhanden. Die Fragen des Gegenübers scheinen in diesem Kontext von interessanter Bedeutung. Warum ist die Person in einem bestimmten Museum, mit welchen Erwartungen? Kann man zusammen eine Fragestellung finden und vielleicht sogar beantworten?
Im Zeitraum vom 17. April bis zum 28. Oktober 2018 fand auf der Dachterrasse des Metropolitan Museum of Art die Ausstellung »We Come in Peace« statt: Zu sehen waren zwei Skulpturen der pakistanisch-amerikanischen Künstlerin Huma Bhabha. Zwei monumentale Figuren aus Holz, eine stehende, eine liegende, wurden gezeigt. Die Figuren besitzen zwar eine menschlich anmutende Anatomie, doch sind deren Körper blockartig und stark verfremdet gestaltet. Die Gliedmaßen sind dick und wirken wie die Pranken eines Raubtieres. Während der Kopf der stehenden Figur vier Gesichter aufweist, die in alle Himmelsrichtungen blicken und unheimlichen Fratzen gleichkommen, ist die liegende Figur mit einer schwarzen Plane überdeckt. Lediglich die nach vorn ausgestreckten Arme blitzen unter der schwarzen Hülle hervor. Ferner waren auf der Dachterrasse Bänke und Stände aufgestellt, an denen man Snacks und Getränke kaufen konnte; im Hintergrund durchbrach die beleuchtete Skyline Manhattans die Abenddämmerung. Zusammen mit einer Freundin ging ich auf die Dachterrasse, wir tranken zwei Gläser Wein und genossen die Aussicht. Eine Dame fragte mich, ob ich gut fotografieren könne und von ihr und ihrer Gruppe ein Foto vor den Skulpturen aufnehmen könne. Aber sicher! Wir kamen ins Gespräch, woher wir kommen, was wir hier und im Leben tun. Eine andere Dame der Gruppe kam aus Düsseldorf: »Wo studieren Sie denn?« – »An der Universität Paderborn.« – »Tatsächlich? Meine Schwester wohnt dort! Die Welt ist doch ein Dorf, nicht?« Ein Mann dieser Gruppe – er war Professor für amerikanische Literaturwissenschaft – gab uns die Empfehlungen, dass man die Galerien in Chelsea nicht verpassen dürfe und dass, wenn wir noch Zeit haben, wir das Montclair Art Museum in New Jersey besuchen sollen. Rückblickend kann ich sagen, dass es eine heitere, lockere Atmosphäre war. Auch die Skulpturen von Bhabha wurden Gegenstand der Unterhaltung, dessen groben Verlauf ich am nächsten Tag notiert habe:
»Stellen die Skulpturen eigentlich Menschen dar?«
»Ich denke nicht. Die Figuren wirken unheimlich.«
»Was ist mit dem Körper? Kein Mensch hat solche Beine, solche Brüste oder vier Gesichter. Ich denke, Außerirdische müssen es nicht zwanghaft sein. Aber es sind Fremde. Auch der Titel We Come in Peace– das ist doch ein klassischer Spruch, wie man ihn von außerirdischen Figuren in Büchern oder Filmen aus dem Genre der Sciencefiction hören könnte.«
»Der Aspekt der Fremdheit scheint mir wichtig zu sein. Aber das bedeutet nicht, dass die Figuren Außerirdische darstellen müssen.«
»Ich denke auch. Die Körper der Figuren sind am Körper des Menschen orientiert, nicht?«
»Ja, eine Art Hybrid.«
»Ich denke, gerade heute ist doch der Aspekt der Fremdheit, ein Fremder zu sein ist ein relevanter Diskurs – in Amerika wie auch in Europa.«
»Politisch gesehen auf jeden Fall. Aber auch wir sind hier in New York Fremde. Denn ich bin nie zuvor in dieser Stadt oder überhaupt in den USA gewesen.«
»Was mich wundert: Wieso steht die eine Figur, warum liegt die andere? Die liegende Position der zweiten Figur erscheint beinahe schon wie eine Demutsgeste, eine Verbeugung. Und die Plane. Soll sie die Figur verstecken. Oder versteckt sich die Figur vielleicht?«
»Nun, vielleicht hat das Museum Angst, dass es heute noch regnet. Aber eine Demutsgeste vor wem? Vor uns? Oder vor der stehenden Figur? Kann es sein, dass nur die liegende Figur ‚in Frieden kommt‘ und der großen Figur ihre Demut, ihre friedlichen Absichten demonstrieren will?«
»Das habe ich auch gedacht.«
»Die Skulptur wurde auf keinem Sockel platziert, sondern hat direkten Bodenbezug. Ich finde, ein Sockel wäre kontraproduktiv gewesen, denn so wird die Figur nicht erhöht und mit einem zusätzlichen ästhetischen Wert aufgeladen. Es ist eine absolute Demutsgeste.«
»Ebenso die große Figur. Auch sie steht auf keinem Sockel.«
»Allerdings! Die Figuren stehen auf denselben Boden wie wir als Betrachter.«
»Unter dieser Prämisse sind es aber keine Fremden mehr, oder? Wir als Betrachter sind hier auf dem Dach vom Met, unterhalten uns, scherzen – mit den Figuren, die uns umgeben und Teil dieses Raumes sind. Ist es nicht vielmehr eine friedliche Koexistenz, bei der es keinen Fremden mehr gibt?«
So (oder so ähnlich) verlief das Gespräch. Zwei Gruppen von Menschen haben aufgrund der bildhauerischen Kunstwerke Bhabas zueinander gefunden und sich anschließend auf ein gemeinsames Gespräch eingelassen. Gerade das Kunstwerk hat eine Verbindung geschaffen, über die man ins Gespräch kam, um über das alltägliche Leben, über das Reisen, aber auch über die Kunst, die uns auf der Dachterrasse umgab, zu diskutieren. Im spontanen sowie assoziativen Dialog haben sich einige fruchtbare Ansätze ergeben, um einen Zugang zu der Installation zu finden, indem Fragen gestellt und im Plenum verhandelt wurden. Lassen sich die Figuren einer Identität zuschreiben? Welche Funktion hat der Titel der Installation und wie lenkt er unser Denken als Betrachter? Wie lässt sich die Beziehung zwischen den Skulpturen einerseits, zwischen Skulptur und Betrachter andererseits charakterisieren? Was leistet der umgebende Raum für die Installation? Es sind Fragen, die sich aus der unmittelbaren Originalerfahrung ergeben, allerdings nicht zwangsläufig eine Beantwortung benötigen. Sehr wohl können diese Fragen die Neugierde der Betrachter wecken, Wissen produzieren, zusätzlich zum Nach- sowie Umdenken anregen und eine weiterführende Auseinandersetzung mit dem Werk, der Künstlerin oder dem Raum sowie dessen Ortspezifik anregen. Hätte sich aus dieser Situation ein Ansatz zur Kunstvermittlung entwickeln können? Eva Sturm schreibt über das
»Fragen der jeweiligen Personen an das Gegenüber – die künstlerische Arbeit, das Museum – und gleichzeitig an sich selbst […]: Was ist da? Was setzt in Bewegung? Was spricht (an)?« (Sturm 2: 2004)
Jeder Gesprächsteilnehmer wurde zu einer Art »Kunstvermittler«: Aufgrund der lockeren, nicht geplanten Situation ergaben sich im Dialog automatisch Fragestellungen: »das punctum wird entdeckt, und gleichzeitig entdeckt es den/die jeweilige/n Finder/in.« (Sturm 2: 2004). Jeder Gesprächsteilnehmer besaß die Chance sich zu beteiligen, Gedanken, Assoziationen, individuelle Erfahrungswerte oder Gefühle zum Gegenüber zu äußern, um damit neue Denkanstöße sowie Impulse zu geben. Mit Hilfe der mündlichen Kommunikation nährt man sich den Skulpturen an und versucht das Gesehene in Worte zu übersetzen:
»Was folgt daraus? Für jemanden müsste, damit es für sie oder ihn relevant wird […], eine Situation geschaffen werden, in der jemand auftauchen, Kontur erweisen, sich selbst überraschen kann.« (Sturm 2012: 5)
Anzuführen gilt, dass sich ein Gespräch über Kunst, wie es sich auf der Dachterrasse des Metropolitan Museums ereignet hat, nicht planbar sein kann – schon das Zusammentreffen war nicht vorhersehbar. Dennoch war es eine Situation sowie Chance, auf die man spontan reagieren konnte, um eine »kleinere« Kunstvermittlung zu initiieren, die durchaus fruchtbare Ansätze sowie Ergebnisse hervorgebracht hat. Die Dachterrasse vom Met wurde zur Bühne sozialer Interaktionen:
»Der Raum tritt […] als eine ‚einheitliche Anschauung‘ […] menschlicher Relationen und Interaktionen hervor. Physische oder territoriale Begrenzungen des Raumes […] erscheinen in diesem Zusammenhang als ‚formale Bedingungen‘ von Räumlichkeit, die ‚für die Betrachtung besonders hervortritt‘.« (Möntmann 2002: 16)
In The Bronx Museum of the Arts lief im Zeitraum vom 18. Juli bis zum 14. Oktober 2018 die Ausstellung Diana Al-Hadid: Delirious Matter, in deren Zentrum die monumentale Skulptur Nolli’s Orders (2012) stand. Hierbei handelt es sich um eine Übersetzung des im Jahr 1748 entstandenen Tiefdrucks von Giambattista Nolli, die eine Ansicht der Piazza Navonain in Rom zeigt, in die Bildhauerei. Spielerisch greift die Skulptur architektonische und skulpturale Elemente des römischen Stadtbildes auf, wie bspw. die männlichen Figuren und deren Bewegungscharakteristik des Vierströmebrunnens, welcher von Bernini realisiert wurde. Zwar wurde der Tiefdruck Nollis in den Ausstellungsraum mit dem Werk Al-Hadids integriert, doch inwieweit gibt dieser die authentische Atmosphäre des Ortes in Rom wieder? Kann jemand, der nie zuvor in Rom gewesen ist, suchend vor dem Werk verweilen, um skulpturale sowie architektonische Elemente wiederzufinden, die der Gegenüber schon als Original in Rom gesehen hat? Mit einem Bekannten, den ich in einer Bar in Queens kennengelernt habe, der zuvor noch nie in Italien gewesen ist, besuchte ich jene Ausstellung. Gerade im Gespräch – über meine individuellen Reiseerlebnisse, meiner Wahrnehmung von Stadt und Stadtbild Roms, das Zeigen und Sprechen über Reisefotografien – konnte ich dem Bekannten in Ergänzung zur Karte ebenfalls neue Zugänge und Impulse zum Werk vermitteln. Eine ähnliche Situation ergab sich im Brooklyn Museum, wo die Künstlerin Cecilia Vicuña (Cecilia Vicuña: Disappeared Quipu, 18.5. – 25.11. 2018) ausstellte. Zu sehen war eine raumgreifende Installation: Übergroße, weiße Stoffstricke hingen von der Decke auf den Boden; in den Stoff waren mehrere Knoten auf unterschiedlicher Höhe zu verzeichnen; eine Form der Kommunikation südamerikanischer Völker: »Drawing on her indigenous heritage, Vicuña channels this ancient, sensorial mode of communication into immersive installations and participatory performances.« (HomepageBrooklyn Museum, 2018 Past Exhibitions, Zugriff 14.12.2018 – https://www.brooklynmuseum.org/exhibitions/cecilia_vicuna).
Mit Hilfe ihrer Arbeiten verlagert die Künstlerin, welche gebürtig aus Chile stammt, ein Stück südamerikanischer Traditionen und Kultur in die globalen Ausstellungsräume. Denn die Künstlerin war mit einer ähnlich konzipierten Arbeit auch auf der Documenta 14 (2017) vertreten. Diese Ausgabe der Documenta wies eine politische Dimension auf, was bereits anhand des Mottos Von Athen lernen markiert wurde. Aber gerade, wo eine große Menge von Menschen, die in Südamerika geboren wurden, in New York leben und sich z. T. stark mit Ausgrenzung sowie Diskriminierung konfrontiert sehen, erhält auch Vicuñas Installation im Brooklyn Museum eine politische Dimension, die vielleicht einen »Kulturtransfer« zu initiieren versucht, um Vorurteile zu überwinden oder die südamerikanische Kultur in Nordamerika als integralen Bestandteil der Ausstellungskultur einzuführen. Welche Fragen wurden gestellt: Welche Relevanz hat das Werk Vicuñas auf der Documenta? Wie lenken Institution und Ausstellungsraum unser Verständnis vom Werk? Gibt es Parallelen und/oder Unterschiede zwischen der Präsentation im Brooklyn Museum und der Documenta? Auch im Whitney Museum of American Art ergab sich ein solcher »Kulturtransfer«: Als Untergrund nutzte der Künstler David Wojnarowicz (David Wojnarowicz: History Keeps Me Awake at Night, 13.7. – 30.9.2018) in seinem Gemälde The Newspaper as National Voodoo: A Brief History of the U.S.A. (1986) ein Notenblatt des Liedes Am Tag als Conny Kramer starb, auf welches er mit Acrylfarbe einen Rodeoreiter malte. Kennt ein Amerikaner – vor allem jemand, der nach den 1970ern geboren wurde – dieses Lied, das in den 1970er Jahren von Juliane Werding gesungen wurde und über das tragische Schicksal eines Drogenabhängigen erzählt? Wahrscheinlich nicht. Als ich einem Mitarbeiter des Museums – der mich in der Ausstellungssituation angesprochen hat – von dem Lied und seinem Inhalt erzählte, schien er eine neue Bedeutungsdimension des Bildes zu begreifen. Warum einen Cowboy, der einen Bullen reitet, auf diesem Notenpapier platzieren? Fragen nach der Relevanz des Liedes für den Künstler, nach der narrativen Ebene des Bildes oder nach einer Deutung im Hinblick auf den Titel wurden in der Auseinandersetzung mit dem Gemälde gestellt und diskutiert.
Alle Beispiele zeigen, dass in den vielfältigsten Situationen, ausgehend von den unterschiedlichsten Kunstwerken, fruchtbare Gespräche entstehen können, indem der Gesprächsteilnehmer in die Rolle eines »Kunstvermittlers« schlüpft und Fragen an das Gegenüber stellt, um sich einem Kunstwerk anzunähern. Gerade das Verhandeln eines Kunstwerkes, sich sprachlich Zugänge zum Werk zu verschaffen, bringt vor der Folie interkultureller Differenzen neue Perspektiven sowie Erfahrungswerte hervor, kann Wissenslücken schließen und zum Nachdenken anstiften.
Privat leben in New York: Neue und vertiefende Perspektiven
Im Whitney Museum of American Art lernte ich einen Mann namens Miguel kennen, mit dem sich eine Art Beziehung – irgendwas zwischen Warhol und Basquiat, zwischen Antonius und Kleopatra – entwickelte. Nach der Exkursion verbrachten wir zusammen drei Wochen in seiner Wohngemeinschaft in Brooklyn, in der ausschließlich Künstler lebten. Gerade das Leben in einem privaten Haushalt verschaffte mir neue, einzigartige Perspektiven von New York und dessen Kunstszene, die ich als Tourist wahrscheinlich nicht wahrgenommen hätte. Miguel arbeitete im Whitney Museum of Amercian Art und studierte Kunst am Hunter College; ist also selbst Teil der New Yorker Kunstszene.
Die Studierenden des Department of Art and Art History des Hunter Colleges hatten die Möglichkeit, zusammen mit ihrer Lehrkraft Carrie Moyer, Malerin und LGBT-Aktivistin, in den Hunter College Art Galleries eine Ausstellung des Künstlers Stephen Mueller (Stephen Mueller: Orchidaceous, 13.9.-28.10.2018) zu organisieren und kuratieren. In Zuge dessen wurde eine Ausstellungsführung mit Moyer initiiert, bei der sowohl Ausstellungskonzept und kuratorische Strategien, aber auch die einzelnen Gemälde Muellers mit Studierenden und Interessierten diskutiert wurden. Wie funktioniert dies im Vergleich zur Universität Paderborn, wo doch auch im Sommersemester 2018 die Ausstellung BITS-BYTES-ART 50 Jahre Digitale Kunst – 50 Jahre Kunstverein Paderborn von den Kunststudierenden begleitet, organisiert und kuratiert wurde? Ebenfalls wurde im Rahmen der Mueller-Ausstellung die Podiumsdiskussion The Gallerists angeleitet, in der Moyer, Margaret Liu Clinton, Michael Findlay sowie Fredericka Hunter über die Zusammenarbeit zwischen Künstler und Galeristen, deren Interessen, die Entwicklung der Zusammenarbeit – »Never trust a straight line!« –, über den Begriff des Netzwerkes sowie der nationalen sowie internationalen Verflechtungen verschiedener Kunstzentren diskutierten. Umgekehrt habe ich über jene Zusammenarbeit zwischen Galerist und Künstler mit Jeremy DePrez, der z. B. mit Max Hetzler zusammengearbeitet hat, aus der Perspektive eines Künstlers sprechen und Einblicke erlangen können.
Auch für die Kunstpraxis eröffneten sich neue Perspektiven. Alle Studierenden im Department of Art and Art Historydes Hunter Colleges bekommen ein Zimmer zugewiesen, das sich jeweils zwei StudentInnen teilen und das ihnen als persönliches Atelier dient. Zusammen haben wir gezeichnet, gemalt, experimentiert. Entwürfe zur Diskussion gestellt, verworfen, verbessert. Was konnte ich von einem Kunststudenten lernen, der selber schon Malerei unterrichtet? Einiges! Und stolz kann ich von mir behaupten, einem aufstrebenden Maler in New York die Technik des Siebdrucks beigebracht zu haben. Mit den praktischen Schwerpunkten und Fähigkeiten der Personen ließen sich vorhandene Ansätze verhandeln, was zu neuen Ideen und Konzepten geführt hat. In der Zusammenarbeit wurde auch der Partner, der geteilte Moment zum Gegenstand des Künstlers. Eines Nachmittags pausierten wir, nachdem wir zuvor auf dem nahe gelegenen See gerudert haben, zu zweit vor dem ägyptischen Obelisken im Central Park: Um 1475 v. Chr. im antiken Ägypten unter der Herrschaft Thutmosis III. errichtet, unter der Herrschaft Kleopatras VII. nach Alexandria geschafft, fand der Obelisk im Jahr 1880 im Central Park seinen endgültigen Standort. Der Obelisk ist Zeuge von fast 3500 Jahren Zeitgeschichte, die in einen Moment der Zweisamkeit ebbte. Wir stellten uns die Frage, wie könne man den Gedanken vom »Obelisk als schweigender Geschichtszeuge« künstlerisch umsetzen? Wie kann ich etwas darstellen, das ich, mit Ausnahme meiner eigenen Erinnerungen an den Obelisken, nur imaginieren kann; ein Gegenstand, der Epochen und Geschichte miterlebt hat, zu denen ich keinerlei Zugang finden kann? Das ist eine Frage, die uns vor Ort beschäftigt hat und der wir noch immer nachgehen – auch um die eigenen Erinnerungen als lebendig zu erhalten.